Folgen und Auswirkungen von Depressionen auf das Leben
„Depressionen können jeden treffen, da ist niemand vor gefeit.“ Christoph Jenner hätte nie gedacht, dass er selbst einmal psychisch erkranken würde. Aber dann überfiel ihn eine Depression, sowie später Panik-/Angststörungen. Seit seiner erfolgreichen Behandlung steht Christopher als Coach und Mentor anderen Menschen mit psychischen Erkrankungen bei. Im LebensWert-Podcast erzählt er, wie sich das Leben mit Depressionen anfühlt und gibt Tipps für den Umgang mit mentalen Problemen.
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Hallo und herzlich willkommen bei "Lebenswert - das Jetzt versichern“. Mein Name ist Shiloo Köhnke und ich bin Host in diesem Podcast. Ich freue mich, gemeinsam mit meinen Gästen Themen aus der Gesellschaft aufzugreifen, die direkten Einfluss auf unser Leben und die Lebensqualität haben. Wir sprechen über Fragen rund um mögliche Lebensrisiken, den Lebenswandel an sich, aber auch ganz persönliche Lebensgeschichten und darüber, uns das jetzt bewusst zu machen. Das Jetzt, also genau diesen Moment, in dem sich alles gut und richtig anfühlt. Viel Spaß beim Zuhören.
Shiloo Köhnke: Heute ist Christoph Jenner zu Gast, der ehemals von psychischen Erkrankungen betroffen war und der es geschafft hat, diese erfolgreich zu überwinden. Inzwischen teilt Christoph als Coach und Referent seine Erfahrungen für Fachkräfte, Interessierte, Betroffene und Angehörige. In seiner sehr persönlichen Geschichte wird er unter anderem auch auf das Thema Suizidgedanken eingehen. Deshalb an dieser Stelle die dringende Bitte, solltet ihr euch mit solchen Gedanken tragen? Dann hört diesen Podcast bitte nicht alleine oder nur, wenn ihr euch stabil genug dafür fühlt. Hilfreiche Kontakte und Telefonnummern findet ihr in unseren Shownotes. Hier in unserem Podcast bei Lebenswert klären wir immer wieder über die Bedeutung der gesundheitlichen Vorsorge auf. Und die gesundheitliche Vorsorge beinhaltet natürlich sowohl die mentale als auch die psychische Gesundheit, denn beides hängt eng miteinander zusammen, wie wir heute auch wieder hören werden. Und wenn die Psyche einmal erkrankt ist, droht eine längerfristige Phase der Berufsunfähigkeit, in der ich nicht arbeitsfähig bin. Und wie wir wissen und auch immer wieder darauf hinweisen, sind psychische Erkrankungen die Hauptursache für Berufsunfähigkeitsausfälle. Wir haben heute die besondere Gelegenheit, mit einem Gast zu sprechen, der ehemals von psychischen Erkrankungen betroffen war. Und wir müssen es diesmal wirklich in der Mehrzahl nennen. Wir werden es gleich hören, lieber Christoph Jenner. Und ich begrüße dich ganz herzlich und bedanke mich bei dir schon mal vorab, dass du bereit bist, deine Geschichte mit uns zu teilen und hier über deine Erfahrungen zu berichten. Herzlich willkommen, Christoph. Schön, dass du hier bist.
Christoph Jenner: Ja, danke, Shiloo. Ich freue mich auch, hier zu sein.
Shiloo Köhnke: Was mir ganz wichtig ist zu sagen, ist, dass du nicht nur betroffen warst von zwei verschiedenen psychischen Erkrankungen im Laufe der Jahre, sondern dass du es geschafft hast, erfolgreich dich wieder zurück ins Leben zu kämpfen. Und heute erfolgreich als Personalcontroller in einem großen Konzern tätig bist. Insofern verdient das natürlich höchsten Respekt. Und du wirst da gleich auch drüber sprechen, wie du das geschafft hast, wie du dich wieder stabilisiert hast, was du getan hast. Und du bist sogar auch sehr, sehr engagiert als Coach, als Begleiter, als Berater für Angehörige oder Betroffene, die selber in einer ähnlichen Situation sind und die mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben. Insofern bist du da sehr, sehr aktiv nebenbei, nebenberuflich sozusagen.
Christoph Jenner: Genau, das ist richtig.
Shiloo Köhnke: Und bevor wir darauf eingehen, würde ich natürlich gerne erst mal ganz an den Anfang zurück. Wenn du dich an deine allererste psychische Erkrankung erinnerst. Wie ist es eigentlich damals dazu gekommen? Und wie hast du dich gefühlt?
Christoph Jenner: Ja, meine erste Erkrankung, die ist schon ein bisschen länger her. Das war tatsächlich im Jahr 2014, ist das ausgebrochen. Und ich hatte eine schwere Depression diagnostiziert bekommen. Es fing an, dass sich meine Freundin damals von mir getrennt hat und ich nicht so recht damit klarkam. Das lag vor allem daran, dass ich so zu 100 Prozent emotional von meiner Freundin eigentlich abhängig war. Und ich sag immer, es gibt nichts Schlimmeres als emotional oder finanziell von irgendwelchen Personen abhängig zu sein. Und [ich] hab eigentlich so für meine Freundin nur gelebt. Also weniger andere Sachen im Vordergrund gehabt.
Shiloo Köhnke: Wie alt bist du da gewesen, wenn ich fragen darf?
Christoph Jenner: Da war ich 28. Und das war auf jeden Fall ein großes Problem, was ich mitgenommen hatte. Und es ist dann so gekommen, okay, meine Freundin ist nicht mehr da. Ich muss jetzt irgendwas anders finden. Ich bin von 100 Prozent auf 0 Prozent. Der Boden wurde mir weggezogen. Also muss ich jetzt was anderes machen. Und hab mich in die Arbeit gestürzt. Hab einen Werkstudentenjob gehabt, hab da ganz viel gemacht. Hab nebenbei meinen Masterstudium gemacht. Hab da probiert, Scheine vorzuziehen, ganz viel. Und weil es dann einfach auch zu viel wurde und ich mich sowieso nicht gut konzentrieren konnte, weil meine Freundin mich verlassen hatte, haben die Leistungen nicht so gestimmt, in meiner Werkstudententätigkeit hatte ich vorher eigentlich immer einen sehr, sehr guten Ruf, ich habe wenig Fehler gemacht, mir wurde viel zugetraut. Dann hat mein Chef mich darauf angesprochen, „Was ist denn in letzter Zeit mit dir los? Du machst so viele Fehler, du hast einen großen Hauptfehler gemacht.“ Da wurde mir auch so eine Hauptaufgabe entzogen, was noch mal so ein Schlag ins Gesicht war. Und sozusagen, das klappt jetzt auch nicht mehr. Und dann hab ich mich wirklich, wo das nicht mehr funktioniert hat, auch mit dem Arbeiten, habe ich mich immer weiter zurückgezogen. Bin nur noch zu Hause geblieben. Hab traurige Videos angeguckt, ganz selten das Haus verlassen. So „Noteinkaufen“ gegangen, hab tatsächlich weniger gegessen, konnte sehr schlecht schlafen, wenn überhaupt. Ich hatte Ein- und Durchschlafschwierigkeiten. Und hab mir alles, was traurig war oder ist, angeguckt. Traurige Filme, traurige Musik gehört. Und hab mich da immer weiter eingeigelt. Und das ist so der, wie das bei mir, gekommen ist. Der Auslöser war meine Freundin. Ursache, wurde in der Therapie später festgestellt, war eine ganz andere. Das sind so ein bisschen Kindheitserlebnisse, die ich nicht so recht verarbeiten konnte, dramatische.
Shiloo Köhnke: Du hast gerade gesagt, du hast dich zuerst mit der Arbeit versucht abzulenken. Und dich da richtig reingestürzt. Und später hast du dich dieser Trauer total hingegeben. Und hast auch nur noch traurige Musik gehört und so weiter. Du bist da richtig drin aufgegangen, sozusagen. Hast du am Anfang im Job oder in deiner Werkstudententätigkeit auf die Fehler reagiert, die dir passiert sind, damit, dass du dich noch mehr angestrengt hast. Hast du dir immer mehr abverlangt am Anfang? Und hast gedacht „Es kann nicht sein. Ich muss hier funktionieren, ich hab immer funktioniert.“ Oder hast du das gleich akzeptieren können?
Christoph Jenner: Nee, ganz im Gegenteil. Ich muss funktionieren, muss jetzt noch mehr funktionieren. Weil mir wurde was entzogen. Und ich will jetzt in der anderen Sache, die als zweites da ist, das ist der Job als Werkstudent gewesen und auch im Studium, da will ich noch mehr funktionieren, noch besser werden. Da will ich vielleicht auch so noch mehr Wertschätzung bekommen. Weil meine Freundin einfach nicht mehr da ist. Ich will im Studium glänzen, am besten nur Einsen schreiben. Und das ging so in die Richtung. Und das ging natürlich dann, weil ich mich ja nur noch darauf konzentriert hab, aber mich nicht konzentrieren konnte aufgrund dieser Situation, eigentlich total in die Hose.
Shiloo Köhnke: Und kannst du dich noch daran erinnern, wie lange diese Phase war, in der du am Anfang, dich in die Arbeit gestürzt hast und in der du dich immer mehr angestrengt hast und mehr von dir abverlangt hast, bis dahin, dass du quasi kapituliert hast und dich zurückgezogen hast?
Christoph Jenner: Ja, so circa zwei Monate. Bis ich dann wirklich kapituliert hab. Und das dann immer kam, dann wurde ich auch von Freunden und Familie angesprochen. „Du meldest dich gar nicht mehr, was ist denn los? Wir wissen ja mit deiner Freundin, aber du redest nicht darüber.“ Also ich hab auch wenig darüber geredet. Das war natürlich auch ein Problem. Später hab ich nur noch darüber geredet, also in dieser Trauerphase dann. Aber am Anfang überhaupt nicht, das ist diese Nicht-Wahrhaben-Wollen-Phase.
Shiloo Köhnke: Die Trauerphase hat nach zwei Monaten richtig angefangen.
Christoph Jenner: Erst als ich nicht mehr gearbeitet hab und nicht mehr zum Studium richtig gegangen bin. Da ging diese Phase los, wo ich dann wirklich getrauert hab, dass die Beziehung vorbei ist. Und ja, dann wurde mir geraten, vielleicht auch mal psychologische Hilfe zu suchen. Ich hab die Symptome dann beschrieben bei meiner Hausärztin, die hat mich direkt überwiesen zum Psychiater und auch zum Psychotherapeuten. Die hat das sehr ernst genommen, zum Glück in dem Fall. Dann hab ich auch sehr schnell tatsächlich einen Termin bekommen beim Psychiater, weil die Symptome, die ich geäußert hab, mit den Schlafstörungen, ich verlass das Haus nicht mehr. Ich hab schon tendenziell Suizidgedanken da geäußert, so ganz grob, dass ich grad überhaupt nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll. Und das war dann schon so ein Alarmzeichen, glaub ich, zum Glück in dem Fall. Und dann hab ich eine Psychotherapie auch begonnen. Ich hab recht schnell auch einen Therapeuten dann zum Glück gefunden.
Shiloo Köhnke: Und ist die Therapie ambulant gewesen oder stationär? Weil du beschreibst es grade so sehr ernsthaft den ganzen Verlauf und auch die Suizidgedanken, die du gerade geäußert hast, hat man dann dich ambulant behandeln können? Oder bist du gleich in die Rehabilitation sozusagen, in die stationäre Rehabilitation gekommen?
Christoph Jenner: Also, meine Therapeutin, ich hatte erst eine Therapeutin ambulant, die hat dann aber sehr schnell signalisiert, es geht so nicht mehr. Also, ich hab auch, wir haben ja Therapie angefangen. Und ich hatte ja grad gesagt, von der Ursache, von diesen Kindheitserlebnissen wurde probiert, ein bisschen zu verarbeiten. Und dadurch ging's mir eigentlich noch schlechter im ersten Moment. Also, das soll jetzt nicht Leuten, ich will jetzt nicht zu Leuten sagen, macht keine Therapie, ganz im Gegenteil, das ist wichtig eine Therapie zu machen, dass man das verarbeitet, weil sonst bricht das immer wieder in irgendwelchen Situationen auf. Aber, und das kann natürlich passieren, während einer Therapie, dass es jemanden auf einmal wieder schlechter geht. Und das Wichtige war einfach, dass ich das gemacht hab, die Therapie, und dass sie mir dann auch klar geäußert hat „Ich schaff das nicht alleine mit dir oder mit Ihnen. Wir müssen stationär machen, weil die Gedanken werden immer schlimmer.“ Ich hab's dann auch geäußert, ja. Die Suizidgedanken gingen auch schon einen Schritt weiter. Also, nicht nur ich hab Suizidgedanken, sondern wirklich, wie kann ich das machen, vielleicht sogar. Und da war ganz klar die Grenze, wo sie gesagt hat, jetzt reichts, und sie hat auch gemerkt, dass ich das auch ernst meine.
Shiloo Köhnke: Kann man dich nicht mehr alleine lassen.
Christoph Jenner: Man kann mich nicht mehr alleine lassen. Und dann haben sie auch sehr schnell, die Psychiaterin und die Therapeutin, einen sehr schnellen Therapieplatz für mich gefunden in einer Klinik. Und dann war ich da knapp drei Monate stationär.
Shiloo Köhnke: Was war genau die Diagnose?
Christoph Jenner: Schwere Depression. Also schwere depressive Episoden, in dem Fall.
Shiloo Köhnke: Wie lange hat dann dieser Zustand gedauert, dieser Erkrankung, oder bis du einigermaßen dich wieder stabilisieren konntest und wieder nach Hause gehen konntest? Wie lange war der Prozess?
Christoph Jenner: Nach drei Monaten stationär war ich wieder zu Hause. Aber auch da war noch nicht alles gegessen, ganz im Gegenteil. Die Klinik ist ein geschützter Raum. Die Glaskugel sagt man so schön, wo man geschützt ist. Und wenn man die dann verlässt – also ich war total fertig, als ich die Klinik wieder verlassen musste, weil ich musste ja wieder alleine leben. Am besten wieder meine Werkstudententätigkeit aufnehmen, mein Studium wieder aufnehmen und da bin ich noch mal in tiefes Loch gefallen. Hatte auch, man sagt ja, Psychosomatik ganz häufig. Ich bin dann eigentlich nach Hause gekommen, war nicht schwimmen oder sonst was. Oder hab nicht einfach an meinem Ohr rumgespielt, hatte gleich eine ganz schwere Ohrenentzündung, musste noch mal ins Krankenhaus. Also wurde dann auch vermutet, das Immunsystem wird schwach.
Shiloo Köhnke: Da hat sich der Stress körperlich geäußert, den du hattest, damit alleine zu sein. Und deinen Alltag wieder zu organisieren.
Christoph Jenner: Genau, richtig. Und dann hab ich natürlich die ambulante Therapie weitergemacht. Und dann hab ich auch gekämpft, weil ich auch gesagt habe „Naja du willst ja auch wieder ein einigermaßen normales Leben führen.“ Und die Suizidgedanken waren natürlich weg zum Glück. Aber trotzdem solltest du jetzt wieder rausgehen, solltest jetzt wieder Sachen unternehmen. Und solltest jetzt wieder zum Studium gehen und die Werkstudententätigkeit machen. Und das hab ich dann auch gemacht. Also der ganze Krankheitsverlauf waren anderthalb Semester, so ganz grob acht Monate.
Shiloo Köhnke: Du hast jetzt beschrieben, dass du natürlich in der Theorie wusstest, du solltest jetzt wieder dein Studium aufnehmen und du solltest jetzt wieder deiner Werkstudententätigkeit nachgehen und so weiter. Das sind ja aber alles Gedankenkonstrukte. Wie hast du das geschafft, dich da tatsächlich wieder nach zurichten? Also hast du andere Glaubenssätze gelernt in der Therapie?
Christoph Jenner: Ja, total. Also Achtsamkeitsübungen, dass man sich wirklich im Hier und Jetzt auf Sachen konzentriert und nicht mit den Gedanken abschweift auf die Vergangenheit oder Zukunftsängste hat. Das sind so Punkte, die ich gelernt hab. Entspannungsübungen, leichte gelernt. Auch einen strukturierten Tagesablauf gelernt, wie ein strukturierter Tagesablauf funktioniert, den ich damals ja nicht mehr hatte, nicht mehr einkaufen gehen, nicht mehr rauszugehen, nichts mehr zu unternehmen. Soziale Kontakte ist ein ganz, ganz wichtiger Lebenspunkt, den wieder zu aktivieren.
Shiloo Köhnke: Ging das relativ gut? Also hatte dein Freundeskreis dann in der Phase, in der du dich zurückgezogen hast und du hast gerade beschrieben, wie lange, über Monate hat sich das jetzt alles hingezogen, wie lange es gedauert hat. Hat dein Freundeskreis dann wieder mit Verständnis reagiert?
Christoph Jenner: Teils, teils. Also ich habe während der Zeit viele Freunde verloren, lag auch viel an mir selber. Weil ich immer gehofft hab, es ist sofort Verständnis da. Wenn ich sage, ich hab Depressionen, ihr müsst das doch jetzt verstehen, was mit mir abgeht. Also, heute bin ich im Nachhinein überhaupt nicht mehr böse, aber damals war ich böse. „Ihr versteht mich alle nicht, ihr wisst nicht, wie das ist, ihr kennt das nicht.“ Dann hab ich viele Kontakte selber abgebrochen oder die Leute, wenn ich das so erzählt hab, was mit mir ist, was mit mir abgeht, haben selber den Kontakt teilweise auch abgebrochen. Und [ich habe] sehr viele Freunde verloren. Ich hab auch ein Beispiel in der Familie, da hab ich das ja auch erzählt, ich geh jetzt in die Klinik. Es war Weihnachten, und dann sagt ein Familienmitglied zu mir, „Äh, Christoph, ich hab dir das gar nicht angesehen, dass du psychisch krank bist oder Depression hast.“
Shiloo Köhnke: Ja, das ist eben genau die Gefahr. Es ist eine Krankheit, die man nicht sieht. Es ist kein gebrochenes Bein oder so.
Christoph Jenner: Richtig, die man nicht sieht. Ich hab dann so gefragt, einfach so ganz frech „was hätt ich denn machen sollen, damit du das siehst.“ Und die Personen dann „das weiß ich auch nicht.“ Ich so „du ich auch nicht.“ Also, das ist ja so ein klassisches Beispiel, ne? Man sieht das nicht. Und das ist es, eine Person, die lacht, kann auch eine Depression haben, ne? Eine Depression heißt nicht, ich guck die ganze Zeit traurig, und laufe durch die Gegend. Also, ne, ich glaub, das ist so - viele probieren es ja heute immer noch zu verschleiern oder zu verstecken in irgendeiner Weise. Oder ich lerne es halt immer wieder kennen, ich gehe ja sehr offen mit meinen Erkrankungen um oder mit meinen ehemaligen Erkrankungen. Und sobald ich es erzähle, erzählen mir Leute auch davon. Aber wenn ich nichts erzähle, erzählen mir Leute das nicht.
Shiloo Köhnke: Genau. Da du ja als Coach sozusagen auch tätig bist und Menschen begleitest auf ihrem Weg durch diese psychischen Erkrankungen, was rätst du, Angehörigen oder auch Betroffenen in dieser Situation. Wie sollen sie auf ihr Umfeld - also, wie sollen sie quasi das Umfeld informieren darüber, wie es ihnen geht? Sollen sie viel darüber sprechen? Sollen sie sagen, wie sie sich fühlen? Oder weil du gerade beschrieben hast, man sieht es dir nicht an. Was ist dein Tipp für Betroffene?
Christoph Jenner: Ich finde schon, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen, weil wenn man das in sich reinfrisst, wird es schlimmer. Also schon darüber sprechen und auch die Angehörigen auch natürlich zuhören. Und natürlich auch, wie kann ich dir helfen? Wie kann ich dich unterstützen? Wollen wir mal zusammen einkaufen gehen? Wollen wir vielleicht zusammen was kochen? So in die Richtung. Natürlich, wenn es jetzt in solche Sachen geht, wie mit Suizidgedanken oder, ich sag jetzt mal, selbst verletzendes Verhalten etc., dann bitte professionelle Hilfe holen und nicht selber probieren, an ein Hobbypsychologe zu sein. Das ist auf jeden Fall ganz wichtig, was ich mit dem Angehörigen dann in dem Fall auch hatte.
Shiloo Köhnke: Ja, es ist ein guter Tipp, glaub ich. Den haben wir auch öfter schon von Betroffenen gehört, dass sie sich wünschen, dass Angehörige in die Initiative gehen und dass sie sagen „Jetzt komm doch mit raus, wir machen einen Spaziergang“ aber trotzdem auch nicht beleidigt sind, wenn jemand sagt „Nee, das möchte ich nicht machen, ich fühl mich jetzt nicht danach“ aber immer wieder die Angebote zu schaffen.
Christoph Jenner: Genau, und nicht die Leute zwingen. Nicht die Leute zwingen, irgendwas zu machen, oder auch nicht so sagen „Oh, mach doch mal Sport, oder geh doch mal raus, oder fahr doch in einen Urlaub, oder andere können es doch auch.“ Boah, das sind so Sätze.
Shiloo Köhnke: Nee, das setzt einen unter Druck zusätzlich.
Christoph Jenner: Das setzt einen unter Druck, das ist wie ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen. Also da ein bisschen vorsichtig sein, Fragen, Hilfe anbieten, auch sagen „Wir suchen zusammen einen Therapieplatz und wir suchen zusammen eine Selbsthilfegruppe.“ Selbstverständlich muss der Betroffene selber das natürlich merken. Also man kann Leute nicht zwingen, eine Therapie zu machen, die Betroffenen sollten [es] selber merken. Klar, Hinweise geben, da stimmt was nicht, da ist was anders. „Mir ist das und das aufgefallen, ich hab das und das beobachtet.“ Und auch Gefühle zu äußern „Das macht mich traurig, dich so zu sehen.“ Und ja, das auf jeden Fall so zu äußern, aber dann natürlich auch für sich selber als Angehöriger die Grenzen zu setzen, nicht, dass man selber noch mit reingezogen wird, ganz wichtig. Und natürlich diese professionelle Hilfe. Es gibt genug Nummern, es gibt genug ärztliche Unterstützung. Das ist ein ganz wichtiges Thema.
Shiloo Köhnke: Du hast vorher beschrieben, dass es immer wieder vorkommen kann, dass man in eine emotionale Krise gerät, wenn man einmal betroffen war von einer psychischen Erkrankung. Also es ist nicht so, man ist dann geheilt und alles ist wieder gut, sondern man ist natürlich anfällig. Auch weiterhin dafür, wahrscheinlich reagiert man auch sensibler, kann ich mir vorstellen, ich weiß nicht, ob es stimmt, aber das hast du vorher gesagt, es kann immer mal wieder auftreten. Wie ist es zu deiner zweiten psychischen Erkrankung gekommen? Und wie viele Jahre oder Monate später ist das gewesen?
Christoph Jenner: Also tatsächlich ist es sechs Jahre später erst gewesen. Also im Jahr 2020. Und das war dann in dieser Corona-Phase, diese Corona-Krise, da hatte ich meinen Job verloren. Bin gerade umgezogen aus Nordrhein-Westfalen nach Niedersachsen. Hab da ja auch in Nordrhein-Westfalen mir auch was aufgebaut, das hab ich alles liegen lassen. Und auch dieser Umschwung, und dann verliert man sofort seinen Job, war nicht so ganz einfach für mich. Und auch da hat sich eine neue Erkrankung geäußert, und zwar eine Angstsymptomatik. Also Agoraphobie mit generalisierter Angststörung in Kombination. So sind Diagnosen in dem Fall gewesen. Und da ich das nicht kannte, wusste ich am Anfang gar nicht, was das ist. Und bin erst mal von Arzt zu Arzt gerannt.
Shiloo Köhnke: Das heißt, es waren ganz andere Symptome.
Christoph Jenner: Komplett. Es war was ganz anderes, weil ich hab immer so gesagt, nee, Depression ist es definitiv nicht.
Shiloo Köhnke: Das kanntest du ja schon. Und wie hat es sich geäußert?
Christoph Jenner: Ich hatte eine Panikattacke zum ersten Mal in einem Auto. Ich war unterwegs und dann hab ich gemerkt, oh Gott, es drückt an meinem Herzen. Ich hab Schweißausbrüche, mir ist schwindelig, ich werde gleich ohnmächtig. Ich krieg keine Luft mehr. Ich hab so das Gefühl, ich sterbe gleich. So, das Symptom hatte ich. Bin ich rechts rangefahren, hab meinen Bruder angerufen, er so „Ruf sofort einen Krankenwagen, keine Ahnung, ich kann dir jetzt nicht helfen.“ Krankenwagen gerufen, ins Krankenhaus gefahren. Bis auf hohen Blutdruck und hohen Puls, was natürlich in der Panikattacke völlig normal ist, haben sie nichts feststellen können. Blutbild war in Ordnung, haben mich wieder nach Hause geschickt. Und diese Situation im Auto ist immer wieder aufgetaucht. Mein Fehler war, dass ich danach nicht mehr ins Auto gestiegen bin, weil ich immer Angst hatte, dass das wieder passieren kann. Dann fängt es an, bin ich mal Auto gefahren. Dann ging es weiter, ich hatte keine Angst, einkaufen zu gehen. Dann ging es, ich hab Angst, rauszugehen, ich kann keine U-Bahn mehr fahren, ich hab Höhenangst.
Shiloo Köhnke: Du konntest nicht einschätzen, wann es wieder auftritt?
Christoph Jenner: Ich hab immer wieder Angst gehabt, diese Panikattacken zu bekommen. Wenn ich weniger gemacht hab, hab ich sie weniger bekommen, weil ich mich ja überhaupt nicht mit konfrontiert hab mit den Sachen. Aber selbst zu Hause sind sie dann auch mal aufgetreten, auch häufig nachts. Und ich hatte da auch erhebliche Ein- und Durchschlafstörungen. Der Unterschied war da, bei den Suizidgedanken, in Anführungszeichen „bei der Depression wollte ich sterben“. Und bei der Angsterkrankung hatte ich „Angst zu sterben“. Weil ich hab gedacht, wenn du jetzt einschläfst, wachst du nicht mehr auf, weil du irgendwie der Nacht ja stirbst. Und ich hatte so Angst zu sterben, dass ich immer wieder nachts aufgestanden bin, hin und her gelaufen bin, nicht einschlafen konnte. Ich hatte erhebliche Angst vor dem Tod, ich hatte erhebliche Angst, eine schwere Erkrankung zu bekommen und dann zu sterben. Das war so komplett drin. Und diese körperlichen Symptome, dachte ich immer, das steckt eine Erkrankung hinter, diese Panikattacken. Ich hab gedacht, da ist irgendwas mit meinem Herzen. Oder weil ich auch so Kopfschmerzen hatte, vielleicht sogar mit meinem Gehirn in dem Fall. Oder ich weiß es nicht. Und dann bin ich halt zu sämtlichen Ärzten gegangen, hab wirklich einen vierstelligen, hohen vierstelligen Bereich auch für Privatuntersuchungen ausgegeben. Und keiner konnte mir weiterhelfen, was feststellen. Von Neurologe bis Kardiologe bis alles Mögliche.
Shiloo Köhnke: Und niemand in dem Umfeld ist auf die Idee gekommen, dass du möglicherweise psychisch erkrankt bist wieder oder dass es eine Angststörung sein könnte?
Christoph Jenner: Richtig. Also erstmal alles abchecken und dann habe ich den Diagnosen der Ärzte nie geglaubt und mir eine Zweit- und eine Drittmeinung abgeholt.
Shiloo Köhnke: Aber hat dich das erst einmal beruhigt, dass du körperlich keine Ursachen hattest?
Christoph Jenner: Ganz im Gegenteil. Es hat mich also es hat mich noch mehr fertig gemacht, dass sie nichts finden. Ich hab ja selber daran geglaubt, dass ich so eine seltene Krankheit hab, dass die überhaupt noch nicht erforscht ist. So tief war mein Gedanke schon.
Shiloo Köhnke: Also du hast auch überhaupt gar nicht an psychische Ursachen gedacht?
Christoph Jenner: Ne, hab ich nicht. Weil ich wusste, dass es keine Depression ist. Weil ich diese innere Unruhe hatte und nicht diese Depression „Ich kapituliere komplett und mach gar nix mehr so.“ Und ein Kardiologe hat mal gesagt „Lassen Sie sich mal, gehen Sie mal zum Therapeuten. Ich vermute, ich habe eine Verdachtsdiagnose, die will ich jetzt aber nicht äußern“ also das war auch Agoraphobie und generalisierte Angststörung in dem Fall „lassen Sie das mal bitte checken“. Und die haben dann auch recht schnell festgestellt, dass es genau das ist. Ich habe dann durch meine Krankenversicherung zum Glück die Hilfe bekommen, auch einen schnellen Therapieplatz zu bekommen. Und auch da war wieder der Fall, ambulant wird schwierig, Klinik. Und das hat dann wirklich lange gedauert. Vier Monate Klinik in Süddeutschland. Sechs Monate Tagesklinik. Dann nochmal anderthalb Monate gesundheitliche Reha. Und ich sage jetzt mal noch mal anderthalb Monate berufliche Reha. Zwischendurch immer wieder mal zu Hause und ambulant Therapie weiter. Also der ganze Krankheitsverlauf hat sich über zwei Jahre hingezogen.
Shiloo Köhnke: Ja, das ist eine lange Zeit. Das war dann 2020, oder?
Christoph Jenner: Ja.
Shiloo Köhnke: Hast du in der Zeit finanzielle Einbußen gehabt? Und wenn ja, wie hast du dich über Wasser gehalten?
Christoph Jenner: Ja, erhebliche finanzielle Einbußen. Ich hab ja, da ich meinen Job verloren hab, kein Krankengeld bekommen, sondern Arbeitslosengeld. Und wenn man dann noch 60 Prozent bekommt von seinem vorherigen [Gehalt], was man da bekommen hat, trotzdem die Kosten hat, die Wohnung finanziert, musste finanziert werden, etc. Auto jetzt und so die ganzen Lebenshaltungskosten. Also davon konnte ich alleine nicht leben. Ich hab zum Glück ein bisschen was gespart. Also da mussten jeden Monat, ein paar Hunderte von meinem Ersparten dran glauben. Und ich sage ganz ehrlich, nach den knapp zweieinhalb Jahren sah es eng aus in meiner Kasse. Also das war wirklich schon die Grenze, wo ich sage so, oh, wenn du jetzt noch länger krank bist, dann weiß ich jetzt nicht, wie du das finanziell machst.
Shiloo Köhnke: Ja, klar, das kann ich mir vorstellen. Vor allen Dingen war es ja auch nicht das erste Mal, sondern du hast ja beschrieben, dass du sechs Jahre vorher auch schon mal eine länger, Monate andauernde Depressionsphase hattest und dort ja auch nicht arbeitsfähig warst.
Christoph Jenner: Genau.
Shiloo Köhnke: Viele Menschen, glaube ich, scheuen den Gedanken für sich selber, dass sie vermuten, dass bei ihnen selbst so was auftreten könnte. Also viele sagen so „Ich bin da total von gefeit. Mir passiert das schon nicht.“ Oder „Ich hab einen Bürojob“ oder so weiter. „Ich bin sicher davor, also diese Thematik betrifft mich nicht.“ Was sagst du solchen Menschen?
Christoph Jenner: Ja, ich lache jetzt grad, weil keiner davor gefeit ist. Also ganz ehrlich, ohne das jetzt kleinzureden, das kann einen Bürgergeldempfänger treffen, es kann eine Hausfrau treffen, es kann einen Topmanager treffen, es kann einen Prominenten treffen, wo man auch oft einmal hört, dass es die Leute trifft, weil das durch die Presse geht. Da ist keiner davor gefeit. Ich bin ganz ehrlich, vor 2014, ich hab öfter von Depressionen gehört. Aber hab auch schon so gedacht „weiß ich nicht, ob mir das jetzt passiert“. Dann war ich in der Klinik 2014 und hab Leute kennengelernt, die eine Angststörung hatten, die Panikattacken hatten, hab gesehen, wie sich das geäußert hat, dass die völlig verzweifelt waren, am Schreien waren, am Heulen waren. Da hab ich gesagt „das wird mir nie passieren“. So, 2020 hatte ich Panik, Angststörung, auf einmal. Also es kann jeden treffen zu irgendwelchen gewissen Zeitpunkten, in einer schweren Lebenskrise, oder vielleicht auch irgendwas, was noch nicht richtig verarbeitet wurde, wie bei mir. Kann das in irgendeiner Weise ausbrechen. Und leider ist keiner gewappnet davor. Auch ich, der die ganzen Symptome auch von Ängsten und Depressionen rauf und runter kennt. Und auch jetzt psychisch logische Seminare ohne Ende besucht hat. Von Heilpraktiker-Psychotherapie über psychologische Berater, über Live-Coaching, Trauerbegleitung. Ich hab ja so viel schon gemacht an Seminaren. Auch ich bin davor nicht gefeit und hab heute noch, ist zum Glück sehr, sehr selten, aber auch wieder so Symptome, die auftreten, wo ich denke, es könnte, wenn ich da jetzt nicht drauf achte, wieder in eine Krankheit rutschen. Also als Beispiel bei einer Depression, hatte ich auch wieder mal so eine Phase, wo ich morgens so gedacht hab „puh, warum stehst du jetzt überhaupt auf? Warum stehst du jetzt überhaupt auf und tust dir den ganzen Blödsinn überhaupt an?“ Und dann denk ich auch so darüber nach „boah meine Nichte hat auch noch in zwei Wochen Geburtstag. Da muss ich ein Geschenk organisieren, da muss ich hinfahren. Und in der Zwischenzeit, in den nächsten zwei Wochen, musste das und das noch erledigen und arbeiten und so weiter. Warum machst du das denn überhaupt?“ Also, diese Gedanken waren dann wieder. Und in dem Moment denke ich dann wieder so „Stopp. Also, wenn du jetzt nicht aufstehst oder wenn du jetzt nicht - du liebst deine Nichte, wenn du jetzt nicht zu deiner Nichte fährst, dir in den Arsch trittst ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen“ das war für mich so zum Beispiel dieses Zeichen. Es waren so die Tage, klar bin ich arbeiten gegangen ganz normal. Aber auch so nach der Arbeit hab ich so gar nichts mehr gemacht, weil ich irgendwie diese Lustlosigkeit hatte. Und es war auch übrigens im Winter letzten Jahr, was war das. Und dann kam so wieder diese Phase, wo ich so dachte, „wenn du das jetzt nicht machst, dann rutschst du rein wieder in die Depression, wenn du da jetzt nicht hingehst zum Geburtstag.“ Ich bin zum Glück hingegangen, habe das Geschenke kauft, es fiel mir wirklich sehr schwer. Aber für mich war das so dieses Zeichen, die Ampel leuchtet auf gelb. „Wenn du das nicht machst, dann geht die Ampel auf rot.“ Ich hab's dann gemacht und lustigerweise war dann wieder alles weg.
Shiloo Köhnke: Ich finde das ganz interessant, was du erzählst.
Christoph Jenner: Darf ich das zweite Beispiel nennen?
Shiloo Köhnke: Achso ja, natürlich. Entschuldigung.
Christoph Jenner: Das zweite Beispiel ist bei Ängsten. Also, ich hab immer noch Panikattacken, sehr selten. Der Vorteil ist, dass ich weiß, ich kann davon nicht sterben. Es kann mir gar nichts passieren. Ich weiß, die kommen, die gehen. Ich hab die teilweise also selten, sehr, sehr selten, vielleicht auch jetzt, ich glaub auch Anfang des Jahres hatte ich mal eine im Büro. Und dann hab ich gesagt, „okay, geh raus“ bin auch kurz spazieren gegangen „mach deine Entspannungs- und Atemübung, die du gelernt hast“ und bin dann auch wieder runtergekommen. Auch da ist mir aufgefallen, wenn ich mich jetzt da im Büro verkrümmt hätte und mich da rein gesteigert hätte oder gar nach Hause gefahren wäre, dann hätte ich ja wieder der Angst gesagt „du, Angst, du hast gewonnen, gegen mich. Ich arbeite jetzt nicht weiter, mir geht's schlecht. Ich gewinne nicht gegen dich, ich mach nichts dagegen.“ So, ich hab aber was dagegen gemacht. So und das sind diese Phasen, die ich dann immer wieder hab, wo die Ampel auf Gelb oder vielleicht schon auf hell orange leuchtet. Und ich diese Mechanismen auf jeden Fall kenne. Und gerade das ist es so, wenn man diese Ampel, da nix gegen tut, dann wird's schwierig. Sobald man in diesem roten Bereich ist oder hellroten Bereich schon, ist es ganz, ganz schwierig. Und ich war ja zwei Mal im dunkelroten Bereich und deswegen war ich auch zwei Mal in der Klink.
Shiloo Köhnke: Aber das klingt jetzt so für mich, als wärst du sehr, also du hast natürlich dieses ganze theoretische Wissen mittlerweile über diese Krankheiten. Du hast auch deine eigenen Erfahrungen damit gemacht und deine Leidensgeschichte sozusagen durchgestanden. Es klingt jetzt so für mich, dass du in den Situationen, in denen es wieder schwieriger wird oder droht, schwieriger zu werden, dass du dich dann auch zusammenreißen kannst. Also du kannst aufgrund der Erfahrung und aufgrund des Wissens, das du hast, kannst du vorbeugen und kannst entsprechend dich auch zwingen, bestimmte Schritte zu gehen, die andere vielleicht dann nicht gehen, weil sie entweder das Wissen nicht haben oder die Erfahrungen darüber nicht haben oder dann eben auch, wie du es am Anfang geschildert hast, sich diesem Gefühl der Traurigkeit oder der Antriebslosigkeit hingeben und eben nicht aktiv werden können. Was ist dein Tipp für diese Menschen?
Christoph Jenner: Also es ist wichtig, dass man einfach nicht kapituliert und sich der Krankheit hingibt, weil das Leben ist dann wirklich nicht mehr so schön, wie es ist. Das Leben ist einfach auch schön. Und es lohnt sich einfach zu kämpfen und diese Sachen zu machen, dass man da rauskommt und das rate ich einfach jedem.
Shiloo Köhnke: Das finde ich ist ein ganz schöner Satz, den du gesagt hast. Und ich finde, also das Leben ist einfach schön. Und, dass du, obwohl du zweimal durch so ein Tief gegangen bist, wie du es jetzt beschrieben hast, auch das weißt, dass es so ist und die Erkenntnis hast und dass du weißt, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen, das finde ich ganz schön.
Christoph Jenner: Danke.
Shiloo Köhnke: Was meinst du. In deinem Alltag, wenn du so auf deinen Alltag schaust, nicht nur in der Begleitung Betroffener oder Angehöriger, die eben auch mit psychischen Erkrankungen zu tun haben, sondern vielleicht im beruflichen Umfeld oder auch im privaten Umfeld. Was meinst du, erfährst du dort das Thema psychische Belastung, emotionaler Stress und klingeln bei dir dann die Alarmglocken? Oder hast du diese Berührungspunkte ansonsten gar nicht außerhalb der Coachings, die du machst?
Christoph Jenner: Ich hab die Berührungspunkte ganz häufig. Und ich erfahre auch von ganz vielen Leuten, wenn ich den ersten Schritt mache und sage, ich hab übrigens mal eine Angsterkrankung gehabt, ich hab Depressionen gehabt, ach übrigens ich auch. Aber die Leute sagen es nicht von sich aus zuerst. Das finde ich schade, weil die Leute denken, sie haben Angst, es ist eine Schwäche zu zeigen, wenn ich psychisch erkrankt war oder bin. Ganz im Gegenteil, es ist eine Stärke, das zu zeigen, wenn man das äußert, finde ich. Weil ich gebe es zu, dass ich das hab. Ich finde das eher stark. Das sage ich den Leuten auch im Coaching oder in den Seminaren. Und ich habe, egal ob auf der Arbeitswelt oder im Familienumkreis oder am Freundeskreis, und ich glaub, da stimmst du mir zu, du kennst sicherlich auch jeweils in diesen Bereichen mindestens einen, wenn nicht gar noch mehr, die das haben. Oder wo du es vielleicht sogar vermutest anhand von Symptomen. Und es tritt immer, immer mehr auf. Und da müsste auch noch eine Menge getan werden. Ich habe das Gefühl, dass es in die richtige Richtung geht. Auch in den letzten Jahren hat sich was entwickelt. In den letzten Jahrzehnten sowieso. Wir brauchen da gar nicht zwei Generationen zurückdenken. Aber wir haben noch ganz, ganz viel Luft nach oben in ganz vielen Bereichen.
Shiloo Köhnke: Ja, das ist sicher richtig. Ich glaube, es ist als Gesellschaft schon viel besser geworden, der Umgang mit diesem Thema. Wir sind aufgeklärter und wir wissen auch, dass es keine Schwäche oder kein Versagen ist. Sondern es ist eben eine Erkrankung, die man ernst nehmen muss. Und die ihre Ursachen in verschiedenster Hinsicht irgendwie hat. Aber es ist eben, wie du sagst, glaube ich, auch vielfach noch schwierig, transparent damit umzugehen, ohne verurteilt zu werden oder ohne beurteilt zu werden. Sagen wir es mal lieber so. Von vielleicht auch Menschen, die unwissend sind.
Christoph Jenner: Ich kann ja mal ein Beispiel nennen. Es gibt Leute, die sagen zu mir, sie haben Angst, zu meinem Vortrag zu gehen. Nicht, dass einer von der Arbeit auch bei diesem Vortrag ist und ihn dann sieht. Warum interessiere ich mich dann zu diesem Vortrag? Ich sag dann „du kannst ja auch einfach nur Interessierter sein“. „Nee, das möchte ich nicht.“ Also solche Sachen, solche Rückmeldungen bekomme ich teilweise. Das finde ich also echt schlimm, diesen Gedanken. Und da auch noch mal bitter an die Arbeitgeber. Ich fühle jetzt auch Seminare zum Glück. Für die Mitarbeiter zum Thema Burnout und Stress. Und auch im nächsten Jahr für die Mitarbeiter in der Psychiatrie. Da kann noch ein bisschen was gemacht werden. Warum keine Entspannungskurse anbieten? Warum keine Achtsamkeitskurse anbieten? Warum nicht Präventionen? Diese Symptome, die wir gerade beschrieben haben, was machen Leute dagegen, die das nicht wissen? Dass sie vielleicht mal aufgeklärt sind, was ist eine Depression, was für Symptome sind da? Was für Gedanken, was für Gefühle habe ich? Was ist ein Burnout? Was gibt es für Stress Symptome? Die meisten Leute sind darüber überhaupt nicht aufgeklärt. Und da können die Arbeitgeber noch so viel machen. Die können Seminare anbieten, Resilienz ist ein Thema, das gibt es schon häufiger, sehe ich gerade in Firmen. Aber trotzdem auch diese Themen, Depressionen, Ängste, Burnout. Wir sehen diese Betroffenenzahlen. Noch mal um 52 Prozent von 2013 bis 2023 sind die psychischen Erkrankungen gestiegen. Und deswegen haben wir gerade so hohe Krankheitsausfälle. Klar kosten solche Kurse Geld, aber was kostet mehr Geld? Dass die Prozentwerte noch weiter hochgehen?
Shiloo Köhnke: Oder monatelanger, jahrelanger Ausfall.
Christoph Jenner: Genau. Und noch weiter, die Leute noch mehr krank werden. Und noch länger ausfallen, wichtige Leute, wo man dann Ersatzbedarf hat. Oder ein bisschen Geld in diese oder Investitionen, in diese Kurse zu stecken. Dass es diese Häufigkeit einfach nicht mehr hat. Da vielleicht noch mal als Arbeitgeber so ein bisschen drüber nachdenken.
Shiloo Köhnke: Jetzt ist natürlich dieses ganze Thema Umgang mit psychischen Erkrankungen wirklich dein Thema geworden. Ich finde, muss ich ganz ehrlich sagen, ich habe es dir ja schon im Vorgespräch gesagt, ganz beeindruckend. Es ringt mir wirklich viel Respekt ab, dass du das zweimal geschafft hast, dich wieder zurück ins Leben zu kämpfen und aktiv auch wieder am Leben teilzunehmen, an der Gesellschaft, am Berufsleben teilzunehmen und da erfolgreich Fuß zu fassen. Wenn du jetzt in deinen Coachings und in deinen Beratungsgesprächen und Seminaren immer wieder dich um dieses Thema drehst, glaubst du, das ist eine Hilfe für dich persönlich, um noch aufgeklärter zu sein und um das Thema noch mehr in die Gesellschaft zu tragen. Und ich meine, an der Stelle, wo du es tust, hilft es ja tatsächlich auch, den Betroffenen mit ihren Themen umzugehen. Aber ist es für dich selber auch eine Hilfe? Was bewirkt es für dich?
Christoph Jenner: Ganz viel. Also, ich liebe das, was ich mache. Es gibt ja in der Maslo-Pyramide die verschiedenen Phasen. Die höchste Phase ist die Selbstverwirklichung. Und das ist meine Selbstverwirklichung. Das ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens geworden. Und mir gibt das so viel, den Leuten da Tipps zu geben, zu helfen. Ich bin total stolz, ich weiß noch vor ein paar Tagen, hat mir ein Psychologe geschrieben. Ich war bei Ihnen beim Vortrag, der war so toll. Danke, Herr Jenner. Die Leute kommen nach dem Vortrag zu mir. Bedanken Sie sich für den Vortrag. Ja, es ist teilweise echt rührend, was ich da für Mails bekomme oder was für eine Bestätigung und Wertschätzung ich bekomme. Es gibt dann wieder 5 Prozent, die blöde Kommentare machen. Die gibt es aber immer.
Shiloo Köhnke: Die müssen uns nicht interessieren.
Christoph Jenner: Genau, die 95 Prozent der Leute sagen, toll, klasse, was du da machst. Ich mach auch ganz viel ehrenamtlich. Ich geh zu ganz vielen Veranstaltungen ehrenamtlich. Es ist mir einfach eine Herzensangelegenheit geworden, das zu machen und den Leuten da zu helfen. Und ich weiß selber, wie schwer es ist, da rauszukommen. Also, ich hab gekämpft wie ein Löwe. Also, wirklich, das muss ich sagen, um überhaupt da wieder rauszukommen. Weil es war ja wirklich zweimal so tief. Ja, auf der Reha haben sie gesagt, ob das mit Arbeiten jemals wieder klappt. Und das als Mitte 30-Jähriger zu hören, das ist schon hart. Aber ja, klappt ja. Und war aber auch ein harter Weg dahin. Und für mich ist es fast ein bisschen Eigentherapie. Wenn ich diese Vorträge halte und ich erzähle von meiner betroffenen Sicht, erzähle, was man machen kann, das ist immer ein bisschen Eigentherapie. Also, das ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens.
Shiloo Köhnke: Also, wie gesagt, höchste, höchste Anerkennung für deinen Weg und für deine Geschichte. Und vor allen Dingen auch dafür, dass es dir diese Herzensangelegenheit ist, wie du gerade beschrieben hast, anderen Menschen auch zu helfen in ihrer Situation. Das finde ich wunderbar, lieber Christoph. Und ich kann das gar nicht genug in Worte fassen. Das ist wirklich eine ganz tolle Initiative, die du zeigst. Und ich hab da große Bewunderung für. Vielen Dank, dass du heute bei uns hier im Gespräch warst oder bei mir zu Gast warst. Ich danke dir für deine Offenheit und dafür, dass du deine Erfahrungen hier mit uns so transparent geteilt hast. Vielen Dank, Christoph.
Christoph Jenner: Ja, danke auch noch mal. Ich wollte noch mal sagen, das Leben ist schön. Und es lohnt sich einfach, für dieses tolle, wunderbare und schöne Leben zu kämpfen. Und seid stolz, dass ihr auf der Welt seid.
Shiloo Köhnke: Das sind die schönsten Abschlussworte.